Nach dem historisch schwachen SPD-Ergebnis bei der Bundestagswahl ruft Stephan Weil, scheidender Ministerpräsident von Niedersachsen, seine Partei zur Neuorientierung auf. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) betont Weil, dass die SPD wieder näher an die Lebensrealität der Menschen heranrücken müsse. Besonders kritisiert er die interne Fixierung auf Minderheiteninteressen. Die Partei müsse sich wieder verstärkt an den Wünschen jener orientieren, die hart arbeiten und sich an Regeln halten. Auch einen personellen Umbruch in der Parteiführung sieht Weil als notwendig – mit einer wichtigen Ausnahme.
SPD nach Wahlschlappe unter Druck: Weil mahnt mehr Bürgernähe an
Stephan Weil zeigt sich selbstkritisch. Die 16 Prozent, die die SPD bei der Bundestagswahl erzielt hat, seien kein Zufall. „Das ist kein Betriebsunfall“, stellt der scheidende Ministerpräsident klar. Die Partei müsse nun „hart arbeiten, um aus diesem Loch wieder herauszukommen“.
Ein zentrales Problem sieht Weil in der Kommunikation: „Wir stecken zu viel Energie in interne Diskussionen und zu wenig in den Kontakt mit ganz normalen Menschen.“ Die SPD müsse sich wieder mehr fragen, was die Bürgerinnen und Bürger konkret von der Politik erwarteten. Dabei reiche es nicht aus, nur einzelne Gruppen in den Fokus zu nehmen: „Die Summe der Minderheiten ist keine Mehrheit.“
Kritik am Bürgergeld: Abstand zu Erwerbstätigen zu gering?
Als konkretes Beispiel nennt Weil das Bürgergeld. Die Einführung sei gut gemeint gewesen, habe jedoch unbeabsichtigte Nebenwirkungen. „Wir haben nicht bedacht, wie es bei Menschen ankommt, die für kleines Geld hart arbeiten und feststellen, dass der Abstand zum Bürgergeld nicht wirklich groß ist.“
Für ihn sei es wichtig, eine Kontrollfrage zu stellen: Wie wirken politische Entscheidungen auf jene, die täglich zur Arbeit gehen, wenig verdienen und sich an Regeln halten?
Die „unsichtbare Mehrheit“: Wer gemeint ist
Laut Weil gehört zur Zielgruppe der SPD eine breite Schicht: Menschen, die arbeiten, Kinder erziehen oder im Ruhestand sind und ihr Leben lang ihren Beitrag geleistet haben. „Hinter dieser Definition kann sich eine große Mehrheit der Gesellschaft versammeln“, erklärt er. Die SPD sei und bleibe die Partei der Arbeit – diesen Kern dürfe man auf keinen Fall aufgeben.
Personalwechsel in der SPD: „Die Mitte-60-Jährigen sind nicht die Zukunft“
Stephan Weil spricht sich klar für einen Generationenwechsel aus – sowohl in Berlin als auch in Niedersachsen. Die Zeit der über 60-Jährigen als Hoffnungsträger der Partei sei vorbei. „Es macht keine Freude, sich das einzugestehen, aber es ist nun mal so.“
In diesem Kontext begrüßt er die personellen Erneuerungen durch Parteichefin Saskia Esken und den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Beide hätten erkannt, dass ein Neuanfang nötig sei – und auch er selbst zähle sich dazu. Am kommenden Dienstag wird Weil offiziell als Ministerpräsident zurücktreten.
Blick nach vorn: Wie die SPD Vertrauen zurückgewinnen kann
Für einen Aufschwung der SPD sei laut Weil mehr nötig als nur neue Gesichter. Der direkte Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern müsse wieder Priorität bekommen. Das bedeute: Zuhören, einfache Sprache wählen und verstehen, was den Alltag vieler Menschen tatsächlich bestimmt.
Auch müsse die Partei stärker sichtbar machen, dass sie für soziale Gerechtigkeit und faire Löhne kämpft. Nur so könne sie sich wieder als „Partei der Arbeit“ profilieren und Wählervertrauen zurückgewinnen.
Stephan Weil liefert der SPD einen klaren Kompass: Weniger Debatten im eigenen Kreis, mehr Fokus auf die Lebensrealität der Mehrheit. Mit einem klaren Appell für Bürgernähe und einem notwendigen Generationenwechsel will er seiner Partei helfen, neue Stärke zu entwickeln. Ob das gelingt, hängt nun davon ab, wie gut die SPD seine Worte in konkrete Taten umsetzt.